„Wolle mer se noilasse?!“ – „Ne, libber net! Die bumbe sich nur.“

Heute, am 20. Februar 2020, tritt die Straßenfastnacht mit dem „Altweiber“-Donnerstag in die heiße Phase ein. Eigentlich würde wir Euch an dieser Stelle einfach nur „viel Spaß“ wünschen wollen, doch zumindest bei uns ist die Stimmung leider sehr getrübt. Der Grund dafür sind die närrischen Einsatzstrategien der Mainzer Polizei – und die demgegenüber völlig unkritische Öffentlichkeit.

Als untragbar und zutiefst besorgniserregend empfinden wir zunächst die fortschreitende Überwachung: Offensichtlich reicht es der Polizei nicht mehr, Mainz allein am Rosenmontag mit 1000 Polizist*innen zu besetzen, mobile Kamerateams zu entsenden, stationäre Kameras anzubringen und mit einem Hubschrauber über unserer Stadt zu kreisen. Jetzt werden auch noch Drohnen hinzukommen, „zur Ergänzung“, wie Innenminister Lewentz sagt. Weshalb diese Ergänzung in diesem Jahr notwendig sein sollte, erklärt der Herr Minister leider nicht.

Die Drohnen werden Videoaufnahmen anfertigen, die dann nach 30 Tagen gelöscht werden sollen – außer die für „Ermittlungen relevanten Sequenzen“. Welche Sequenzen das sind, entscheidet die Polizei letztlich selbst und wir dürfen davon ausgehen, dass „relevant“ in diesem Zusammenhang ein durchaus dehnbarer Begriff ist. „I always feel like somebody´s watching me“… An Fastnacht bleibt es nicht beim bloßen Gefühl. Ihr werdet tatsächlich (fast) rund um die Uhr beobachtet. Sicherer wäre die Fastnacht wohl nur noch dann, wenn man sie einfach absagt.

Noch viel empörender ist jedoch eine weitere Maßnahme: 68 Betretungsverbote hat die Mainzer Polizei verhängt. Diese gelten nicht nur – wie etwa die AZ berichtet – für den Rosenmontag. In den uns bekannten Fällen dürfen die Betroffenen bereits heute gewisse Bereiche der Stadt nicht mehr betreten, ebenso am Sonntag. Am Montag ist dann quasi die gesamte Innenstadt „Sperrzone“. Dieses polizeiliche Vorgehen, das uns an eine „Datei Gewalttäter Spaß“ erinnert, ist auf vielerlei Ebenen kritisch zu hinterfragen:

Da wäre zunächst die Maßnahme als solche. Es ist ein äußerst empfindlicher Grundrechtseingriff, sich nicht mehr frei bewegen zu dürfen, noch dazu in der Stadt, in der Betroffene ihren Wohnsitz haben, arbeiten, ihr Sozialleben führen. Die Verbote werden nicht etwa von einem Gericht ausgesprochen, sondern von der Polizei und zwar auf Grundlage der eigenen Prognosen. Dabei ist besonders zu beachten, dass jene Prognosen äußerst fragwürdig zustandekommen. In diesen spielt die Unschuldsvermutung nämlich keine Rolle. Zwar kann sich eine Prognose auf rechtskräftige Verurteilungen stützen, muss es aber nicht. So spricht der Inspekteur der Polizei RLP, Jürgen Schmitt, zwar von „Personen, die eine Straftat mit Bezug zu Rosenmontag, zur Johannisnacht oder zum 11.11. begangen hatten“ – meint damit aber eigentlich Personen, gegen die in diesem Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren eröffnet wurde. So verhält es sich auch in einem uns bekannten Fall.

Daneben stützt sich die polizeiliche Prognose in diesem Jahr erstmals auf eine automatisierte Datenauswertung, sprich auf Algorithmen. Solche Algorithmen sind jedoch – wie man auf den ersten Blick vielleicht annehmen könnte – nicht etwa neutral und objektiv. Sie sind genauso tendenziös, fehlerhaft und z.B. auch rassistisch oder sozialchauvinistisch, wie ihre Verfasser*innen. Zudem sind sie völlig intransparent, denn wie genau diese Datenauswertung funktioniert, welche Daten also eingespeist, als relevant oder irrelevant kategorisiert werden und vor allem warum, bleibt das Geheimnis der Polizei.

Dass etwa die vermeintliche Zugehörigkeit zur „Ultra-Szene“ als Argument für ein Betretungsverbot herangezogen wird, wundert uns schon gar nicht mehr. Besonders deutlich wird die Willkür, mit der die Polizei ihre Prognosen anstellt, noch an einem anderen Beispiel: 2019 kam es laut Innenminister Lewentz im Rahmen von Fastnacht zu 15 „Sexualdelikten“. Die Straftaten, die von der automatisierten Auswertung erfasst wurden, sind laut dem bereits erwähnten Herrn Schmitt jedoch „Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Widerstand, Landfriedensbruch, Bedrohung und Verstoß gegen das Waffengesetz.“ Soll heißen: Personen, die in der Vergangenheit sexualisierte Gewalt ausgeübt haben, wurden gar nicht erst in den Pool der potenziellen „Störer“ aufgenommen. Warum? Das weiß nur die Polizei.

Äußerst nachdenklich stimmt uns darüber hinaus der signifikante Anstieg der Betretungsverbote: 2019 waren es „nur“ 26 – nun 68. Das mag mit der erwähnten Datenauswertung zusammenhängen. Wie sich diese krasse Zunahme an Grundrechtseingriffen jedoch sachlich rechtfertigen lässt, erklärt die Polizei-Software freilich nicht. Erst Recht nicht vor dem Hintergrund, dass 29 dieser Betretungsverbote gegen Heranwachsende und Jugendliche gerichtet sind – Personen also, denen der Staat eigentlich besonders sensibel begegnen sollte.

Unsere Bedenken gegen die ausgesprochenen Betretungsverbote bleiben leider unbeachtlich, denn wir unterstellen der Polizei – sowohl im Hinblick auf den Drohnen-Einsatz, als auch hinsichtlich der Betretungsverbote – nicht unbedingt, dass sie rechtswidrig handelt. Das Problem liegt vielmehr im rheinlandpfälzischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (POG), das derart eingriffsintensive Maßnahmen ohne richterliche Überprüfung vorsieht und somit eine Rechtsgrundlage für das bedenkliche Vorgehen der Polizei schafft.
Selbst wenn diese Maßnahmen aufgrund des POG also rechtmäßig sein sollten – sie beunruhigen uns zutiefst. Wir sehen sie als Teil einer autoritären, repressiven Entwicklung, die sich nicht zuletzt in den jüngsten Novellierungen verschiedener deutscher Polizeigesetze äußert.

Soviel zum Vorgehen der Polizei. Was wir jedoch nicht weniger besorgt verfolgen, ist die Art und Weise der Berichterstattung. Die Allgemeine Zeitung, der SWR, Antenne Mainz, der Merkurist und andere berichteten über die erwähnten Überwachungs- und die Gefahrenabwehrmaßnahmen. Jedoch befand es offensichtlich nicht eine einzige Redaktion für nötig, sich kritisch oder gar investigativ mit der Materie auseinanderzusetzen. Natürlich sind wir uns bewusst, dass unsere Einschätzung der Dinge bestimmt nicht jederorts anschlussfähig ist. Man muss unsere Bedenken ja auch nicht teilen.

Was wir jedoch von einer freien Presse erwarten können müssen, ist ein Mindestmaß an kritischer Haltung und eine gesunde Portion Misstrauen. Die Medien werden gerne auch als „vierte Gewalt“ im Staat bezeichnet. Das vermögen sie durchaus zu sein, aber eben nur dann, wenn sie eine Aufgabe wahrnehmen, die untrennbar mit der Idee der Gewaltenteilung verbunden ist: Kontrolle. Die freie Presse muss es als ihre demokratische Aufgabe verstehen, die Staatsgewalt und somit auch und vor allem die Polizei zu kontrollieren.

Doch in Mainz ist eine kritische Öffentlichkeit wohl leider erst dann zu erwarten, wenn ein Alkoholverbot für Fastnacht im Raum steht und somit das eigene Recht zu saufen bedroht wird. Denn der journalistische Anspruch scheint sich hier leider ausnahmslos darauf zu beschränken, Polizeiberichte völlig unkritisch zu übernehmen. Das ist mehr als ein bloßes Ärgernis, es ist ein ernsthaftes Problem! Warum hat niemand Sinn und Zweck der Maßnahmen hinterfragt, ein Für und Wider abgewogen, Betroffene von Betretungsverboten aufgespürt oder mal ganz grundsätzlich gefragt: Was treibt die Polizei da eigentlich und warum?

Am Ende dieser Fragen würden viele sicher zu anderen Bewertungen kommen als wir, doch das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist: Wenn derartige Fragen nicht mehr gestellt werden, bewegen wir uns in eine sehr, sehr gefährliche Richtung. Dann nämlich genießt die Polizei Narrenfreiheit – und das kann in niemandes Interesse sein!

Mainzer Fanhilfe e.V. im Februar 2020

Mainzer Fans kritisieren Betretungsverbote beim Heimspiel gegen Schalke 04

Polizei verhängt Betretungsverbot an Fastnacht

Polizei verhängt Betretungsverbot an Fastnacht (Fortsetzung)

Geltungsbereich des Betretungsverbotes am „Altweiber“-Donnerstag

Geltungsbereich des Betretungsverbotes am Fastnachtssonntag 

Geltungsbereich des Betretungsverbotes am Fastnachtssonntag (Fortsetzung)

Geltungsbereich des Betretungsverbotes am Rosenmontag